Karte-Seidenstrasse



...Als wir wieder ins Freie kamen, hatte es sich stark abgekühlt und ich zog mir die langen Radlerhosen und eine warme Jacke an. An diesem Tag schafften wir es nicht mehr allzu weit und schlugen direkt am Fluss unser Lager auf. Wir schmissen unsere Kocher an, um wenigsten noch einen warmen Tee zu genießen, und verkrochen uns schnell in den warmen Schlafsack. Die Morgendämmerung weckte uns mit Reif auf den Zelten – es war die einzige frostige Nacht auf der ganzen Reise nach China...

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Mit Torsten an der Elbe

...Hier verlangte ein Beamter an der Grenze ein Dokument. Ein ungewöhnliches Bild im freien Europa. Doch nach einem kurzen Blick in meinen Reisepass konnte ich weiterradeln. Ich war im Land Draculas, in den Karpaten, im wilden Rumänien eben. 1984, als ich das erste Mal hier mit dem Rucksack durchkam, hatte der Despot Nicolae Ceaus ‚escu das Land noch fest im Griff und es gab Brot auf Marken, während die Frau des Präsidenten nach Paris zum Friseur flog. Dann kam die Wende und die beiden wurden noch 1989 auf der Stelle erschossen. In Rumänien findet man allerorts viele Sinti und Roma, die nicht nur hier von der Gesellschaft an den Rand gedrängt werden, die irgendwie nicht richtig dazugehören. Doch für mich schon. Ich kenne das Land nicht ohne sie. Auch auf dieser Reise begegnete ich etlichen von ihnen. Sie waren teilweise, wie seit eh und je, mit Pferd und Wagen unterwegs. Andere wiederum bestiegen große Limousinen mit einem Stern auf der Motorhaube. Rumänien war mir auf dieser Durchquerung irgendwie sympathisch. Es machte Spaß, durch die Dörfer zu ziehen und Menschen zu sehen, die Nachbarschaft pflegten, vor den Grundstücken auf Bänken zusammensaßen, sich unterhielten oder sich zum Brettspiel zusammengefunden hatten...

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Im dörflichen Rumänien

...Ich sah mich auf dem Boulevard nach einem Passanten um, dessen Handy ich benutzen konnte, und rief meinen alten Freund Ivo an. Ivo kannte ich schon lange. Er hatte in Wernigerode studiert, irgendwas mit Computer. In diesem Städtchen hatte ich auch einen Bekannten, in dessen Outdoor- Geschäft ich oft einkaufte und in dem ich damals auch die Ausrüstung für meine Touren gekauft hatte. Dort arbeitet auch eine nette Verkäuferin. Sie wurde meine Freundin. Allerdings hat unsere Beziehung die Amerikareise, die ich von 2013 bis 2015 unternahm, nicht überlebt. Aber das steht in einem anderen Buch. Jedenfalls half mir Ivo schon einmal bei den Vorträgen aus, die ich in der Gegend hielt. 2006 startete ich zu einer Reise nach Kapstadt und besuchte ihn in Plowdiw. Er lebt mit seiner Mutter in einer großen schönen Wohnung, mitten im Zentrum dieser wunderbaren Stadt. Ich quartierte mich damals für ein paar Tage dort ein und konnte mich gut erholen. Seine Mutter sagte mir schon nach einem Tag, dass ich sie mit Ma anreden sollte. Das vergisst man nie...

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Mit Ivo und Mutter im Batschowo Kloster

...Ich war zum zweiten Mal in Kleinasien, wie die Türkei auch bezeichnet wird. Edirne selbst, genauer gesagt die Selimiye-Moschee, die das Stadtbild prägt, gehört heute zum Weltkulturerbe. Dann das bunte Treiben in den Straßen und Gassen. Ich war in einer anderen Welt, ich war im Orient. In einem kleinen Straßencafé bestellte ich mir den typischen schwarzen Tee, der in kleinen Gläsern überall im ganzen Land serviert wird, und gleich zwei dieser köstlich schmeckenden Sesamringe, die in der Türkei Simit genannt werden. So kam ich schnell wieder an und hinein in diese Welt, in dieses schöne Land, wo es eine wunderbare Mischung aus orientalischer Kultur, Moderne, Geschichte und spektakulären Landschaften gibt. 2006 habe ich um die größte Stadt, um Istanbul, einen Bogen gemacht bzw. bog vorher nach Süden ab. Doch nun kam ich an dieser Fünfzehnmillionen-Metropole am Bosporus nicht vorbei, wollte ich doch im nördlichen Teil nach Ostanatolien vorstoßen...

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Erster Tee in Edrine

...Das Zelt stand und ich kramte meinen Benzinkocher heraus. Ich kochte mir Nudeln zum Abendessen, trank einen Tee und genehmigte mir zum Abschluss eine Dose Bier. Dann kroch ich in den Schlafsack und war schon fast weg, als ich es donnern hörte. Blitze zuckten in der Ferne. Es fing ganz leicht an zu tröppeln. Der Regen verstärkte sich schnell und wenig später blitzte und krachte es direkt über mir. Ich drückte mich an den Boden und bat den „Großen Geist des Universums“ um Hilfe. Als gelernter Elektriker ging ich die Chancen des Überlebens durch. Einen faradayschen Käfig hatte ich theoretisch. Allerdings nur theoretisch: Das wären meine Zeltstangen. Die würden aber einem Blitzeinschlag nicht standhalten und könnten die Energie wahrscheinlich nicht ableiten. Andererseits war da noch die Hochspannungsleitung, keine einhundert Meter entfernt von meinem Zelt. Die war nah und auch hoch genug, um dem Blitz zu „vermitteln“, dass er doch bitte hier einschlagen solle. Das passte! Ich beruhigte mich und wenig später beruhigte sich auch das Unwetter. Alles verzog sich. Nur die Wiese war jetzt noch nasser. Doch das war egal. Wichtig war, dass ich noch gesund und munter in meinem Schlafsack lag. Er hatte mich erhört, der „Große Geist des Universums“. Doch einschlafen konnte ich noch lange nicht...

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Regenwolken in Anatolien

...Nach ein paar Kilometern tauchte das erste Dorf auf oder zumindest das, was davon übrig war. Sein Name war Kartsakhi. Verfallene Häuser unterbrochen von noch bewohnten. Schlamm und Kuhdung auf der Straße. Schlaglöcher. Meine Gedanken waren darauf gerichtet, ein „Magasin“, also einen Lebensmittelladen zu finden, um mich mit einem kleinen „Wolkenschieber“, eine Art Notschnaps, aufzuwärmen. Drei Gestalten tauchten mitten auf der Straße auf. Ich kramte mein rudimentäres Russisch aus meinem „Oberstübchen“ hervor und fragte nach einem Geschäft, in dem es auch Schnaps gäbe. Die Drei lachten und verwiesen mich zur nächsten Kurve. Jetzt sah ich es auch. Market stand da dran. Das Wort „Magasin“ wurde noch bis Anfang der Neunziger verwendet. Da war Georgien noch Teil des Sowjetreiches, und Russisch war Amtssprache. Doch so ganz langsam löste sich das kleine Land, das nicht mal drei Millionen Einwohner hat, von der alten Zeit. Und tut es immer noch. Der ältere von den Dreien lud mich ein in sein Haus. Dort hatte er auch Schnaps, Selbstgebrannten, Samagon. Also trottete ich ihm hinterher und saß wenig später in der Wohnstube einer armenischen Familie...

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Im ersten Dorf in Georgien

...Noch ein paar Höhenmeter weiter stieß ich auf ein paar Souvenirbuden und gleich dahinter war dann das Kloster. Der Tag neigte sich dem Ende zu und ich hatte noch keinen Platz für die Nacht. Ich fragte bei den Damen, die versuchten Andenken zu verkaufen. Ich schien der einzige Besucher zu sein und hatte Glück: „Da ist eine Wiese direkt vor dem alten Kloster. Da kannst du dich hinstellen“, sagte eine der Frauen. Ich schob mein Rad auf das Gelände und baute wirklich direkt vor historischer Kulisse auf, vor dem Kloster Sanahin. Das Kloster selbst ist nicht mehr von Nonnen oder Mönchen bewohnt. Es existieren nur noch die Steinbauten. Das Kloster wurde schon Mitte des 10. Jahrhunderts gegründet, was für Armenien nichts Ungewöhnliches ist...

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Im Kloster Sanahin

...Öl ist ja immer noch das Schmiermittel des Kapitalismus und nach wie vor sehr begehrt. Geschichtlich betrachtet war es immer schon so. Die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg hatte auch den Auftrag, sich bis an die Ölfelder um Baku herum vorzuschießen, doch bei Stalingrad hatte sich die Sache dann erledigt. Und wie die Geschichte ausging, dürfte jedem Leser vertraut sein. Ansonsten ist Baku auch bekannt durch die Formel-1-Rennen, die in der Innenstadt regelmäßig stattfinden. Auch wenn ich mich für so etwas nicht interessiere. Und tatsächlich sah ich noch überall im Stadtgebiet die Banden aus Beton mit Werbung, die Fahrer und Zuschauer schützen sollen. Lange suchte ich nach einem preiswerten Bett und fand es erst hinter den mittelalterlichen Mauern der Altstadt, die ebenfalls zum Weltkulturerbe zählen...

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Die historischen Mauern von Baku

...Alle mussten im Empfang antreten, in zwei Reihen, sich gegenüberstehend, das Gepäck vor sich liegend. Dann kamen mit harten, ernsten Gesichtern in Tarnuniformen steckende Grenzsoldaten und ein Schäferhund an Bord. Der Vierbeiner wurde von der Leine gelassen und schnüffelte begierig an uns Passagieren und Gepäckstücken herum. Ich vermutete, dass die Nase des Hundes auf Drogen trainiert worden war. Er schnüffelte lange an allen Sachen, lief ein paar Runden um zwei Fahrradtaschen des Radfahrers aus England. Dave war sein Name, ein vierundfünfzigjähriger Familienvater aus den Norden Englands, der immer mal von seiner Frau ein paar Monate freibekommt und die Zeit für die Fernradtouristik nutzt. Dave kam sichtlich ins Schwitzen und berichtete mir später, dass er in Gedanken den Hund fortscheuchte. Hätte er es tatsächlich auf dem Schiff gemacht, wäre er fällig gewesen...

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Dave (rechts) auf der Fähre im Hafen von Aktau

...Der Aralsee selbst steht für eine Umweltkatastrophe sondergleichen. Der Mensch hat ihn für Bewässerungszwecke fast vollständig ausgesaugt und lässt ihn sozusagen verbluten. Diesen traurigen Anblick wollte ich mir ersparen. Außerdem wäre es ein Umweg von circa zweihundert Kilometern gewesen. Ich blieb im Grünen und bewegte mich auf Khiva zu, stellte dabei wieder fest, dass die Einwohner sehr gastfreundlich sind und man abends schnell mal eingeladen in gemütlicher Runde am Tisch eines Hauses sitzen kann. Khiva liegt an der turkmenischen Grenze. Als ich dort eintraf, fühlte ich mich tatsächlich in die alte Zeit der Seidenstraße zurückversetzt. Wunderbar erhaltene Gebäude, dazu noch die vollständige alte Stadtmauer aus Lehmziegeln. Wenige Touristen und abends die totale Ruhe...

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Der Blick nach oben in Khiva

...Man entsandte einen der jüngeren Arbeiter in ein nahegelegenes Restaurant und er kam mit riesigen Mengen Rindfleisch, Salat und mehreren typisch usbekischen flachen, runden Broten wieder zurück. Auch ein Fläschchen Wodka war dabei. Als ich es zusammen mit meinem Gastgeber geleert hatte, schickte man nach einer zweiten Flasche. Auch dieser halbe Liter wurde durch zwei geteilt. Dann stand da noch ein drittes Fläschchen auf dem Boden, wo wir alle saßen. Doch ich konnte verhindern, dass man es öffnete. Nach gutem Essen und einer Flasche vierzigprozentigen Wodka schlurfte ich zu meinem Bett unter freiem Himmel, das eigens für mich reserviert war, deckte mich mit meinem Schlafsack zu, streichelte noch einen liebebedürftigen Hund und schlief unter dem Vollmond tief und fest ein. Während der kommenden Tage in Usbekistan musste ich mir mehrmals täglich anhören, dass die deutsche Mannschaft sehr schlecht gespielt hatte, zumal man bemerkt hatte, dass ich aus Deutschland kam. Sie hatten wohl recht...

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Das Bett unterm freien Himmel

...Später, beim Abendessen gesellten sich noch weitere Gäste zu uns. Darunter ein Pärchen auf Rucksackweltreise. Er stammte aus Spanien, sie aus Italien. Der Mann mit seinen langen schwarzen Haaren und langem schwarzen Bart schrieb jeden Abend akribisch und mit kleiner Schrift das Tourtagebuch. Als er so dasaß, sagte ich: „Er sieht aus wie Jesus Christus. Fehlen nur noch die zwölf Jünger.“ Ich zählte die restlichen Menschen am Tisch. Es waren genau zwölf. Das Gelächter war groß...

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Unser "Jesus" in Kirgisien am Tisch

...In gebührendem Abstand folgte mir ein Polizeiauto mit „Blaulicht“. Ich hielt an und fragte, was los wäre. Die Beamten wollten mich nach Kaschgar eskortieren. Ich war breit und wollte nicht mitten in der Nacht in eine große Stadt. Das Theater ging hin und her und die Autos hinter mir wechselten sich ab. Es war schon stockdunkel und die Uhr zeigte fast elf an. Plötzlich waren die Lichter hinter mir verschwunden und ich nutzte meine Chance. Ich schob schnell Nasreddin ins Dunkel hinein und schlief wenig später auf der Isomatte vor dem blechernen Tor am Zaun eines Betriebes irgendwann ein...

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Ersten Nachtlager am Stadtrand von Kashgar

...Und wenig später stand ich wieder auf dem Gelände, wo ich den platten Reifen repariert hatte. Nasreddin wurde ein Platz unter einer Stahltreppe zugewiesen und mir einer auf der Brücke in einem Glaskasten, in dem eine Pritsche installiert war. Nur mit Lenkertasche und Schlafsack bewaffnet, schlich ich die Stahltreppe hinauf und quartierte mich genau über der Fahrzeugkontrolle ein. Ein Beamter stand als Wache davor, interessierte sich aber eher für die Lkws und Autos, die quietschend unter mir anhielten, um durchleuchtet und durchsucht zu werden. Der Sturm pfiff die ganze Nacht und hob den Lärmpegel noch weiter nach oben. Ich schob mir die Ohrstöpsel in die Ohren und bin irgendwann endlich ins Reich der Träume, die in dieser Nacht nicht angenehm waren, hinübergewandert...

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Wieder eine Polizeikontrolle

...Mit der schwindenden Zeit bis zum Abflug nach Hongkong stiegen meine Bedenken, kreisten die Gedanken und ich wurde unruhiger. Solange ich nach Hongkong unterwegs wäre, müsste ich mein treues Gefährt im Yudu-Hotel zurücklassen. Und wenn irgendwas schiefginge, zum Beispiel, wenn etwas mit dem Visum nicht klappen würde, wären wir getrennt und es gab keinen Plan B. Ich sah mir mit meinem kleinen Laptop ein paar Dokus in den Mediatheken an und las in einem Buch von Hermann Hesse. Aber ich langweilte mich eben streckenweise schon ein wenig. Das ist für mich als energiegeladener Mensch eine schwierige Situation. Eines Morgens klappte ich meinen Rechner auf und fing an, meine Erlebnisse einzutippen. Es lief gut, der Text wurde immer mehr und so war das „Samenkorn“ für dieses Buch gelegt...

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Hier entstand das Buch "Abenteuer Seidenstraße"

...Noch ein paar mehr schweißtreibende Tage und ich lagerte dreißig Kilometer außerhalb des Zentrums von Xi’an, sozusagen schon am Stadtrand. Es war schwer, überhaupt noch einen Platz zu finden. Alles zugebaut. Na ja, fast alles. Es war immer noch eher eine ländliche Gegend. Ab und zu gab es ein kleines Feld oder ein kleines Waldstück. Ich versuchte die Berge zu erreichen und somit auch ein brach liegendes Feld. Doch als ich mich schon fünf Kilometer weit von der Hauptstraße entfernte, kamen sie immer noch nicht näher. Die Sonne war bereits am Horizont angekommen. Kurzerhand bog ich links ab und stand wenig später mit meinem Zelt an Rand eines Maisfeldes. Das Wehr eines Wasserkanals rauschte in der Nähe. Zikaden tönten ihr „Lied“ und Grillen kamen zu Besuch. Auch ein paar Mücken surrten mir um die Ohren. Die übliche schwüle Luft trieb mir nach einer Tasse Tee wieder den Schweiß aus den Poren. Doch das machte mir überhaupt nichts mehr aus. Ich war glücklich, es bis hierhin geschafft zu haben...

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Letzte Nacht im Zelt

...Er hatte jetzt den Pass beim Wickel und schien auf die Seite mit dem Chinavisum gestoßen zu sein. Lange beäugte er das Visum und die Stempel darin. Dann hob er den Kopf und sagte mit verschmitzt strenger Miene „This is your last day!“ – „Yes“, antwortete ich mit überlegener Ruhe und grinste. Er grinste ebenfalls, nahm den Stempel in die Hand und krach, war der letzte Stempel der Reise im Pass. Es war vollbracht! Jetzt gab es nur noch den Flug und ein paar Bahnkilometer zu meistern. Dann war Schluss – endgültig Schluss...

0019Schluss
Alles fertig für den Heimflug


.................Textauszüge aus meinem Buch '"Abenteuer Seidenstraße"